Tagesklinik, ich komme. Okay, ruhig bleiben. Es wird sicher lustig. Da sind die alle wie du. Depressiv, ruhig, kaputt. Alles wird gut. Da wissen die alle wie man mit euch umzugehen hat. Die anderen kennen das ja auch. Du bist da kein Sonderfall. Die sind alle so. Die nehmen Rücksicht. Alles wird gut. Das packst du. Alles wird gut. Kein Grund zur Aufregung. Alles wird gut.
Dachte ich.
Dachte ich wirklich. Ich hatte irgendwie nicht ganz klar im Kopf, dass die da längst nicht alle depressiv sein würden.
Und so war ich nicht auf das Kommende vorbereitet. So gar nicht.
Die eher langweiligen – wirklich langweiligen, ich saß da und dachte: Toll. Dafür bist du hier? Das kannst du auch zuhause – Stellen waren die, während die anderen im Unterricht saßen. Zwei, drei Türen weiter.
Und da gerade erst mein erster Tag war, hatte ich das Privileg noch keine Stunden zu haben. Yay.
Ich saß also einfach da, auf dem Sofa, zeichnete ein wenig in meinem Block rum und laaangweilte mich.
Im Endeffekt habe ich mir zwei Minuten, nachdem alle Mitglieder der Gruppe da waren, die Langeweile zurückgesehnt.
Die Gruppen sind altersgemischt. Der Jüngste sieben.
Ich bin siebzehn.
Ich hab nichts gegen Kinder. Dachte ich.
Aber Himmel noch mal! Wie scheiße sind Kinder eigentlich?!
Gut, über die mehr als dämlichen Sprüche á la „Marie will den und den ficken“ und „Ich hab den Lehrer einfach die Hausaufgabenlösungen geklaut, der hat das nicht gemerkt. Tja.“, beides von einem ACHT-jährigen, und beides gelogen und beides endete in eine Streit mit besagter Maria, konnte ich ja noch hinwegsehen.
Ich konnte es ausblenden, still dasitzen und.. ja. Still sein.
Ich war nämlich müde, es war anstrengend, ich wollte nach Hause und… ja.
Aber da ist wer, den ich nicht ignorieren kann. Jemand, vor dem ich Respekt habe. Und ich meine nicht den guten Respekt, wie ich ihn beispielsweise Captain Jack Sparrow entgegen bringen würde, sondern eher die Art Respekt, die man vor einem tollwütigen, bissigen Hund hat.
Mandy.
Ja, das ist des Monsters Name. Und um die Beschreibung abzukürzen: sie sieht aus, wie sie heißt.
Und die ist bestimmt nicht depressiv, also zumindest nicht wie ich. Ich bin der introvertierte Typ. Der ruhige, stille Typ.
Und DIESES Mädchen ist das genaue Gegenteil. Laut, aggressiv, launisch, wie mir scheint.
Am Anfang dachte ich: „Vielleicht liegt es daran, dass ich so müde bin und kaum ein Lächeln zustande bringe, vielleicht ist sie auch etwas daneben heute. Vielleicht liegt es einfach an diesem Tag.“
Dann nachdem ich deutliches… nennen wir es „Desinteresse“ an meiner Person spürte, dachte ich: „Aua… Aber… Ja, okay, du kannst dich nicht mit jedem verstehen, was solls.“
Und jetzt denke ich: „Ich will da nie wieder hin, nie wieder. Bitte zwingt mich nicht dahin! Ich will nach Hause, ich will zu meiner Mama! Ich will da nicht hin!!!!“
Wenn ich schon Probleme hatte in die Schule zu gehen, weil ich ähnliche – ÄHNLICHE – Gedanken hatte, ist es jetzt…. etwa 70% schlimmer.
Ich dachte, die Klinik sollte mir helfen. Ich würde dahin gehen und nach und nach gesund werden. Stattdessen… ist es schon nach dem ersten Tag schlimmer.
Ich hab keinen Appetit – und ich hatte bisher immer, in jeder verfickten Scheißlage, Appetit! – mehr, mir ist kalt, ich hab dauernd Gänsehaut und meine Brust fühlt sich an wie zugeschnürt, ich kann nicht richtig atmen.
Und Mandy geht mir so dermaßen auf den Zeiger.
Ich bin ein SEHR toleranter Mensch, der eigentlich mit jedem klar kommt, der sich sehr selten aufregt und meist eher gechillt die Schultern zuckt, als irgendwas Provozierendes/Kontraproduktives (oder überhaupt irgendwas) von sich zu geben (zumindest in einem Umfeld, in dem ich mich noch nicht gut auskenne, wie eben dort), in welcher Form auch immer. Man KANN sehr gut mit mir auskommen. Man KANN.
Aber… aber Mandy…
Erst macht sie klar, dass das was sie am meisten hasst, lästern ist, und ich denke: Gut, du lästerst äußert selten. Passt. Mit der krieg ich keine Probleme, die kann ich (weil ich da schon ahnte, dass es mit ihr zu anstrengend werden würde) umgehen. Ich kann ausweichen.
Ha, ja, klar.
Dann sind wir mit einer Gruppe (die Ältesten von allen drei „Stationen“) von sechs Mann in so einem Kurs, den die wohl jeden Donnerstag machen. Color-Six?
Da machen die, so habe ich mir sagen lassen, die unterschiedlichsten Sachen. Je nachdem. Malen, Fotolovestorys kreieren, irgendwas halt.
Aber da es halt gerade ziemlich viele Neue gab und die ganze Gruppenkonstellation sich geändert hatte, wollte die Leiterin nicht gleich ein neues Thema wählen lassen, sondern erstmal alle kennen lernen. Auch die Leute sollten sich untereinander kennen lernen. Eigentlich ja nicht doof.
Außer anscheinend Mandys Ansicht nach.
Weil Maaandy war ja schon länger in der Klinik (und wird hoffentlich bald entlassen!) und hat das schon mal gemacht?
Also, jeder sollte sich einen Partner suchen und dann halt mal eben ein Mini-Interview durchführen und seinen Partner dann vorstellen.
Nein, ich musste nicht mit Mandy machen, Gott bewahre. D:
Ich hab mit Alex gemacht, eine – anscheinend – Freundin von Mandy. Zumindest hängen die immer zusammen. Allerdings war es diesmal die Lehrerin, die die Paare eingeteilt hat.
Das Interview und was ich zu sagen hatte war nicht weiter wichtig, denn ich will euch erklären, warum Mandy mir auf die Nerven geht.
Erst jammert sie stundenlang rum, weil sie mit jemandem zusammen arbeiten muss, den sie nicht leiden kann.
Dann reißt sie sich verdammt nochmal zusammen und gibt Ruhe.
Dann sollen wir die Partner vorstellen – ich und Alex gleich als erste, weil keiner wollte und ich dachte, hey, dann hab ich es hinter mir.
Wir werden nicht dran genommen oder so, die Leiter warten einfach, weil – gemacht werden muss es eh, jeder kommt dran, aber halt, wenn derjenige bereit dazu ist.
Und dann – als letztes – Mandy und…. Äh, ja, ihr Partner.
Weil auch da wieder endlos Theater und Show: „Neee, ich will das nicht, ich mach das nicht!“
Um dann zwanzig Sekunden dazustehen und irgendwas zu labern!
Ich hasse solche unnützen Aufrisse <.<
Aber gut, meinetwegen. Mir egal.
Ich hab auch überlegt, ob sie sich einfach nicht getraut hat oder so was, aber… Es ist definitiv nicht so. Dieses Mädchen hat so eine große Klappe.. und sie reißt sie DAUERND auf. Dauernd.
Wegen jeder Kleinigkeit.
Weil sie muss ja auf sich aufmerksam machen und das geht ja nicht, wenn sie in der Menge untergeht, weil sie einfach mal mitmacht.
Also ging das die Stunde (es war mehr als eine Stunde….) so weiter. Und es hat genervt.
Wir haben nichts auf die Reihe bekommen, weil Mandy immer gebockt hat, wenn was gegen ihren Willen war – oder eben auch einfach mal so, weil wegen Aufmerksamkeit.
Ein anderes Mädchen, Lisa, und ich – für beide der erste Tag – werfen uns schon immer so Blicke zu. „Boah, wie nervig.“ – „Und wie. -.-“
So nach dem Motto eben. Kennen uns nicht, aber regen uns beide innerlich total auf. Wollen aber auch nichts sagen, weil das würde es ja eh nur schlimmer machen und Mandy würde total verweigern.
Hat sie dann auch so, nachdem sie uns zwei zusammen fünf Worte wechseln sehen hat und das gleich auf sich bezogen hat. Weil wir ja über sie lästern.
…. Okay, stimmt, haben wir. Aber… meine Fresse, ich lästere halt! Dann soll sie mir doch keinen Grund zum Lästern liefern!
Jedenfalls hat sie dann einfach abgeblockt, sich weggesetzt und uns machen lassen. Was wir nicht konnten, weil es halt eine Gruppenaktivität sein sollte.
Gesagt hatte sie da noch nichts. Nur: „Ne, ich fühle mich nicht wohl. Das liegt an zwei Personen, ich will dazu jetzt nichts sagen.“
„MEINE FRESSE, MÄDEL, MACH DEN MUND AUF, DANN KÖNNEN WIR DAS AUSDISKUTIEREN! NUR SPRECHENDEN MENSCHEN KANN GEHOLFEN WERDEN!“ …hätte ich ihr gerne entgegen gebrüllt. Aber nein.
Leiterin: „Okay. Was könnten wir denn sagen, damit Mandy wieder mitmacht, hm?“
Und dann durften wir alle irgendwas sagen, um Mandy doch davon zu überzeugen, wieder mitzumachen. „Komm schon, wir sind eine Gruppe, wir sollten das zusammen machen. Bitte!“
Hallo? Ich bettel die doch nicht an, mitzumachen, wenn man mit der eh nicht arbeiten kann. Pah.
„Willst du nicht vielleicht doch mitmachen…?“ das hab ich dann gesagt. Sehr halbherzig, aber die Leiter und co. haben das eh auf meine „Schüchternheit“ geschoben, schätze ich.
Die anderen klangen übrigens nicht anders. Aber genervter, teilweise. >D
Jedenfalls… hinterher… ich weiß es gar nicht mehr genau.
Aber sobald ich irgendwas gesagt habe, ein Vorschlag zu dem Bild, das wir machen sollten, gemacht habe: Mandy.
„Ja, wir könnten das so und so und so machen“, schlug ich jetzt – das ist ein Beispiel – vor.
Dann muss abgestimmt werden, weil wir ja eine Gruppe sind -.-‘
Und dann so: „Wer ist dagegen?“ Keiner meldet sich.
„Wer ist dafür?“ Keiner meldet sich nicht.
Und Mandy tickt aus.
„Boaah, wie blöd ist die eigentlich?! Wieso schlägt die denn was vor, was die nicht gut findet?!“
Ich hab erstmal ein paar Sekunden gebraucht, um zu checken, dass sie mich meint. Mich.
Weil ich mich nicht gemeldet habe.
Ich meine: Hallo? Es war offensichtlich?
Genau das hab ich dann auch gesagt: „Ist doch klar, dass ich dafür bin, wieso soll ich mich extra melden?“
Und wie die rumgezickt hat… Unfassbar.
Blickwechsel zwischen Lisa und mir.
Ganz ehrlich, ich bin niemand, der leicht heult oder so. Ich heule auch nie vor anderen Menschen.
Aber in dieser beschissenen Klinik hatte ich seit Monaten(!) an einem(!) Tag(!) drei Mal(!) das Gefühl, gleich heulend zusammenzubrechen. So richtig. Einfach Heulkrampf.
Und ich …verdammt, ich heule NIE vor anderen!
ICH DACHTE, DIESE KLINIK SOLLTE HELFEN?!?!
Jedenfalls war der Moment, wo Mandy dann meinte, mich runtermachen zu müssen, einer dieser Momente. Keine Sorge, es hat niemand mitbekommen, ich hab tarnungshalber genervt aus dem Fenster gestarrt.
Und nach ein paar Sekunden hatte ich es ja auch schon wieder im Griff. Als ob das Miststü…..Mädchen mich dazu bringen würde. Pffft.
Tja, um zum Abschluss zu kommen und das Thema für heute beiseite zu legen: Bevor Mandy gegangen ist, meinte sie zu mir (und Lisa, aber irgendwie war es nur an mich gerichtet -.-), dass sie, wenn ich nochmal lästere, mir ein paar Schläge verpasst.
Und mir war vorher schon mehr als klar, dass sie sowas nicht nur so sagt. Da waren sich auch alle aus meiner Station einig.
Toll wird das. Falls ihr demnächst jemandem mit demoliertem Gesicht begegnet, hey, das könnte ich sein :)
Ach ja, PS: Lisa stand bei diesem Mini-Interview in Mandys Nähe und hat mir erzählt, Mandy hätte schön breit erklärt, wie dieses blauhaarige Mädchen (ich x3) ihr doch auf die Nerven geht.
Soviel zu: „Ich hasse Lästern!“
Ja, aber nur wenn’s um dich geht, hm, Schätzchen?
Dass ich danach mehr als fertig mit der Welt war, ist verständlich?
Ich war noch nie Ziel von OFFENSIVEN Mobbing-Attacken, Drohungen oder irgendetwas, was diese Situation beschreibt.
Ich konnte dann noch ein wenig mit Lisa reden (Ich hatte den Eindruck, die Betreuer wollten uns irgendwie zusammenschweißen, weil, obwohl wir in verschiedenen Gruppen waren, wurde mir vorgeschlagen, ich könne ja noch mal, bis ich abgeholt werde, zu Lisa in die grüne Gruppe gehen. Wir sind Blau.) und jetzt versuchen wir einfach, keine Aufmerksamkeit – Mandys Aufmerksamkeit, meine ich – auf uns zu ziehen.
Weil, übrigens, alle Mandy mögen. Weiß der Himmel warum, aber die meisten da mögen sie und würden wir uns jetzt offen mit ihr anlegen, hätten wir die ganze Klinik gegen uns.
Boah, das ist echt… ne, ey, was für ein Tag.
Der ist da aber noch nicht mal geendet.
Ich würde jetzt gerne alle schicksalshaften Verkettungen haarklein erzählen – aber dazu fehlt mir schlichtweg die Kraft.
Also kurz.
Ich hab mich enorm zusammen reißen müssen, nicht zu heulen. Ich dachte mir: „Nur noch den Tag rum kriegen, heute Abend kannst du heulen.“
Weil es ging auch nicht nach der Klinik, weil meine Großtante Geburtstag hatte und ich dahin musste, einen auf fröhlich machen musste, obwohl ich komplett am Boden war.
Aber gut. Für meine Großtante. Dachte ich.
Dann geht unserem Auto auf einmal auf der Fahrt von der Klinik nach Hause der Sprit aus und wir bleiben liegen -.-
Gut, dass Papa einen Kanister dabei hatte, das war also gar nicht mal so schlimm.
Dann sind wir zuhause, packen den Kuchen, den ich extra gestern noch mehr schlecht als recht für meine Großtante gebacken habe, ein und ich ziehe mir was schickes an, weil meine Großtante eben 95 wurde und ich da nicht in Jogginghose auftauchen wollte.
Also, schick gemacht, beeilt, weil meine Großtante ja schon wartete und dann… zieht Papa die Tür zu und der Schlüssel steckt, von innen.
Bei dem Versuch IRGENDWIE rein zu kommen, musste ich dann von Papa hochgehoben und irgendwie auf mein Fensterbrett klettern – enorm dreckig, also schicke Sachen: Flop.
Dann hab ich mir in dem beschissenen Fenster den Arm irgendwie geklemmt und.. ja, nur so Scheiße. Beim Runterkommen tat dies weh und das weh und bla.
Mein Arm ist immer noch rot.
Dann kam Mama mit dem Auto von unserer Großtante, hat uns also gerettet.
Weil der Schlüssel gerade steckte, konnte man den von der anderen Seite rausschieben und die Tür öffnen. Wir haben ja zwei Schlüssel, ne?
Ja, dann also mal eben sauber machen, aber nur notdürftig, weil es halt auch immer später wurde und ja… meine Großtante ist halt alt und Alte bleiben nicht so lange draußen.
Und dann das letzte, was ich hier festhalten will (außer dass mein Kuchengeschenk gefloppt ist, weil meine Großtante „nicht so viel für festen Kuchen übrig hat, Torte ist ihr lieber“): ich saß da, habe trockenen Schoko-Kuchen gegessen und … und dann hat mir ein Vogel auf die Schulter gekackt.
Mich hat ein Vogel angekackt. Hallo? Was war das denn für ein Tag, bitte? Comedy Falle?? Ich fands nämlich nicht lustig.
Okay, als ich angekackt wurde, musste ich lachen. Weil das einfach ZU absurd war.
Aber insgesamt…. Badest day ever.